Nordostindien und Kolkata 2009

Ein Indienbild ist sträflich unvollständig, wenn es die großen Städte nicht einschließt. 2001 und 2006 bin ich zwar in Delhi und Chennai (dem vormaligen Madras) gewesen, die Aufenthalte waren aber sehr kurz und die dabei entstandenen Fotos haben es bis auf zwei nicht bis in diese Webseite geschafft. Ende 2009 bin ich dann ziemlich spontan eine Woche nach Kolkata (dem vormaligen Kalkutta) gefahren. Dabei habe ich versucht, mein Indienbild und das dieser Webseite zu vervollständigen.

Kalkutta mit seiner reichen Geschichte an der Schnittstelle zwischen Ost und West und mit seinem schrecklichen Schicksal insbesondere im 20. Jahrhundert hatte mich schon lange neugierig und zugleich furchtsam gemacht - so furchtsam, dass ich etwas umständlich zwei Wochen lang über ruhigere und ländlichere Gegenden in Orissa und Westbengalen angereist bin. Auf der Strecke lagen u.a. die Tempel von Bhubaneshwar und Konark und der Mangrovenwald von Bhitarkanika. Über diese Stationen möchte ich hier außerhalb der Galerie berichten bevor es unten mit Kalkutta weiter geht.


 

Bhubaneshwar, Stadt der 1000 Tempel

Bhubaneshwar ist die verhältnismäßig ruhige und saubere Hauptstadt des Bundesstaats Orissa. Orissa ist sehr ländlich und trotz der vorhandenen Bodenschätze sehr arm. Der Anteil der Adivasis (der Ureinwohner des indischen Subkontinents) ist verhältnismäßig hoch. Deshalb ist der Einfluss der indischen Maoisten oder Naxaliten entsprechend hoch. Einige touristisch interessante Gebiete können derzeit nicht besucht werden oder nur mit großer Vorsicht bzw. Risikofreude. Ich habe darauf verzichtet.

In der unmittelbaren Nähe von Bhubaneshwar lag schon vor unserer Zeitrechnung die Hauptstadt des Kalinga-Reichs. Ab der Jahrtausendwende verwandelte sie sich in die "Stadt der 1000 Tempel". Zahlreiche steinerne Tempel im charakteristischen Orissa-Stil sind noch erhalten und in gutem Zustand. Der Orissa-Stil ist durch eine Aneinanderreihung mehrerer Gebäudeteile entlang der Längsachse der Tempel (z.B. Opfersaal, Tanzsaal, Versammlungssaal und Hauptturm mit Sanktum), durch die falschen Gewölbe, die Ausprägung von vertikalen Rippen und durch eine reichhaltige Ausschmückung mit Ornamenten und Skulpturen gekennzeichnet. Für Hindus ist der Lingaraj-Tempel in Bhubaneshwar von der größten Bedeutung. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Tempeln, die nur noch Museen sind, kann er von Nicht-Hindus nicht besucht werden.

Der Sonnentempel in Konark

Der größte erhaltene Tempel der Kalinga-Zeit ist der Sonnentempel in Konark (Orissa). Er hat die Form eines riesigen von sieben Pferden gezogenen Prozessionswagens. Auf beiden Seiten besitzt der Wagen 12 riesige steinerne Räder. Leider ist nur die mittlerweile mit Sand ausgefüllte Versammlungshalle vollständig erhalten, das Dach der Tanzhalle fehlt, vom Speisesaal gibt es nur noch Reste und der fast 70m hohe Tempelturm ist eingestürzt. Aber die noch sichtbaren Gebäude und die viel tausend Skulpturen stellen trotzdem eines der eindrucksvollsten Architekturdenkmäler dar, das man in Indien bewundern kann. Und die Skulpturen sind nicht nur von künstlerischem Interesse. Sie stellen eine unerschöpfliche Quelle von Informationen über die Zeit ihrer Entstehung dar, und berichten dabei ausführlich über das tägliche Leben mit Haushalt, Handwerk und Jagd, über den Krieg, über Tanz und Riten und nicht zu vergessen über alle Spielarten der Sexualität.

Im Mangrovenwald von Bhitarkanika

Auch aus dem relativ wohlgeordneten Bhubaneswar kommend ist ein Ausflug in den Mangrovenwald von Bhitarkanika (Orissa) ein Abtauchen in eine andere ruhige Welt. Dieses Flussdelta der Flüsse Brahmani und Baitarani hat sich wenigstens teilweise erhalten können, weil es bis 1952 "Zamindarland" war, d.h. einem Steuereintreiber gehörte, der es nicht nötig hatte es zu bewirtschaften. 1975 wurden Teile zu einem Wildschutzgebiet und später zu einem Nationalpark. Es ist u.a. die Heimat oder Zwischenstation von zahlreichen Vogelarten, die Brutstelle von Wasserschildkröten und der Lebensraum der vielleicht größten Salzwasserkrokodile der Welt. Wer sie gesehen hat, schenkt den behaupteten 7 Metern Glauben.

 


 

Im Watt von Chandipur

Chandipur (Orissa) ist ein unauffälliger Ort mit einigen Hotels am Golf von Bengalen, der von einem sehr bescheidenen indischen Tourismus lebt. Es wird eher nicht gebadet. Die Hauptattraktionen sind Wattwanderungen, die ohne jedes Hindernis vier Kilometer hinaus führen können, und Zusammenkünfte in den großen Dünen unter Kiefern.


 

Am Strand von Chandipur

Man kann in Chandipur sehr lang den Strand entlang gehen und nach "Krabbenkunst" Ausschau halten. Nach einer Weile erreicht man dann das quirlige Fischerdorf Balaramgadi.


 

Bahnfahren in Indien

Indian Railways mit ihren zahlreichen regionalen Gesellschaften ist DIE Lebensader des Landes. Nach ein bisschen Akklimatisierung habe ich dieses Unternehmen als pünktlich, ehrlich und sauber wahrgenommen. Bahnfahren ist natürlich auch sicherer als der Straßenverkehr. Aber nicht immer. Die in der Galerie gezeigten Aufnahmen stammen von der Strecke Baleshwar-Kharagpur-Kalkutta. Nicht weit entfernt ist der Ort des grässlichen Anschlags auf den Express Kalkutta-Mumbai vom 28. Mai 2010.


 

Auf der Rikscha durch Bishnupur

Ich versuche mit diesen Bildern die Stimmung bei der Fahrt auf einer Fahrradrikscha durch eine indische Provinzstadt einzufangen. In den meisten Fällen ist das ein zweifelhaftes Vergnügen für den Fahrer und den mitfühlenden Fahrgast, z.B. in der Abgaswolke des dichten Verkehrs oder wenn der Fahrer krank ist. Hier in Bishnupur (Westbengalen) war es anders, hier ging es touristisch gemütlich von Tempel zu Tempel. Bemerkenswert an Bishnupur sind die zahlreichen, hauptsächlich im 17. Jahrhundert in der Zeit der Mallabhum-Dynastie gebauten, mit Reliefs aus Terrakotta verzierten Tempel.


 

In der Provinz

Bishnupur ist nicht nur wegen der Tempel eine Reise wert. Es ist eine von den modernen Zeiten noch halbwegs unbeleckte Kleinstadt, z.B. mit zahlreichen Handwerksbetrieben, die noch auf der Straße produzieren, z.B. die Öllampenmanufaktur aus der Galerie. Und das gefällt dem westlichen Reisenden als "orientalisch". Die fertige Öllampe sieht so aus:


 

Doch jetzt nach Kalkutta/Kolkata:

Ich möchte hier keine große Abhandlung über Kalkutta die Hauptstadt von Westbengalen ausbreiten. Mit erscheint aber wichtig, dass sich hier in Kalkutta Ost und West seit Aufnahme der Handelsbeziehungen und besonders seit der Zeit der Kolonialisierung auf einem Niveau begegnet sind, wie es kaum in einer anderen Stadt geschehen ist. Noch heute ist Kalkutta das geistige Zentrum Indiens und zu Hause in beiden Welten. Gleichzeitig hat Kalkutta durch Naturgewalten, Hungersnöte, Spekulation, Unabhängigkeitsbewegung, Teilung des Subkontinents in Indien und Pakistan, Aufstand in Ostpakistan und die dadurch jedes Mal ausgelösten millionenfachen Flüchtlingsströme Schicksalsschläge wie keine andere Großstadt der Welt erlitten. Wenn man sich aber heute Kalkutta unvoreingenommen anschaut, ist es nicht Armut und Elend, die ins Auge fallen, sondern die zupackende Geschäftigkeit seiner Bewohner, auf welchem wirtschaftlichen Niveau auch immer.

Wer sich für Kalkutta interessiert, dem empfehle ich die folgenden Bücher:

Offensichtlich ist es nicht einfach über Kalkutta zu schreiben. Aber auch die Verrisse der Kritiker sind aufschlussreich, wie man hier im Spiegel 34/1988 zum Buch "Zunge Zeigen" von Günter Grass, in der ZEIT 06/2005 über dessen Wiedersehen mit der Stadt oder in der ZEIT 49/1985 zum Buch von Dominique Lapiere erfahren kann.

Die am meisten fotografierten Motive in Kalkutta sind die zahlreichen Bauten aus der britischen Kolonialzeit und der Ganges-Arm Hugli mit der alten und der neuen Brücke, die Kalkutta mit dem Ort Howrah auf der anderen Seite des Flusses verbinden.


 

Kolkata: Die Töpfer von Kumartuli

Die Töpfer von Kumartuli im Norden von Kalkutta produzieren aus Flussschlamm Skulpturen von hinduistischen Götten, hauptsächlich von der Göttin Durga. Während des Festes Durga Puja werden die Skulpturen mehrere Tage öffentlich prunkvoll zur Schau gestellt, bevor sie nach einer Prozession in den Fluss versenkt werden um sich wieder in Flussschlamm zu verwandeln.


 

Kolkata: Mit Muskelkraft durch den Verkehr

Wie in allen indischen Städten, sind die handgezogenen und fussgetriebenen Verkehrsmittel auf dem Rückzug. Je breiter die Straßen, um so weniger solche Fahrzeuge sind darauf zu finden. Handgezogene Rikschas sind fast nur noch in Kalkutta zu finden. Auch dort sind sie schon auf vielen Straßen verboten. Etliche Versuche, sie ganz zu verbieten, sind allerdings gescheitert. Siehe z.B. den ZEIT- Artikel aus dem Jahr 2006.


 

Kolkata: Am Straßenrand

Das Leben der Stadt findet zu einem Gutteil auf der Straße statt. Dort befinden sich Abertausende von Tee-, Essens- und Verkaufsständen.


 

Kolkata: Bauarbeiten am Tagore-Haus

Im Geburts- und Wohnhaus Rabindranath Tagores bin ich auf ein wundervolles Beispiel vom Teamarbeit gestoßen. So wie hier gezeigt wechseln sich Arbeits- und Erholungszeiten viel häufiger und angenehmer ab - und gibt es einen Grund nach jedem Durchlauf mit dem Kollegen im kommunikativen Gleichtakt zu sein.


 

Kolkata: Park Street Cemetery

Der Friedhof an der Park Street ist einer der geheimnisvollsten aus der Kolonialzeit übriggebliebene Orte. Ich hatte den Eindruck, dass sich die Familien der Wächter auf ihre Weise vom Park ernähren. Vielleicht ist das wirklich so.